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Mein Gedanken-Atelier Teil 2 von 3



Sobald nun der erste Teil des Schreibens, das sogenannte Plotten, in meinem Gedanken-Atelier abgeschlossen ist, beginnt die Ausarbeitungsphase der Geschichte. Und auch hier ist der Vergleich meiner Gedankenarbeit mit der Vorgehensweise eines in einem Atelier arbeitenden Malers sehr passend.

Denn ich habe nun ebenfalls ein Skizzenkonstrukt vor mir auf dem Tisch liegen – ein großes Blatt, auf dem die Erzählung mit Bleistift vorskizziert ist. Dort sieht man den interessant geschwungenen Spannungsbogen für den Ablauf der Geschichte, die Handlungsorte sind darauf vermerkt und auch die Figuren, die als einzelne Charaktere zu unterscheiden sind – auch wenn hier meine beklagenswerte Talentlosigkeit als Zeichnerin zu Tage tritt. Auch dort eingetragen sind Besonderheiten, die in den Geschichten Erwähnung finden, wie zum Beispiel die Entwicklung des Lavendelöls im Roman „Lavendelduft und Madeleines“ oder ein Kondor bei „Marie-Sophie – Endlich fliegen“, der es übrigens sogar aufs Cover geschafft hat. Das ist das Konstrukt, mit dem ich die zweite Phase der Romanentwicklung, das eigentliche Schreiben, einläute.

Jetzt gilt es, dieser Skizze Farbe und Form zu verleihen. Natürlich bin ich kein Maler, aber so wie dieser seinem Bild durch die Farben Emotionen, Gefühle und Spannung verleiht, passiert das in meinem Fall mit Worten. Sie sind meine Stärke. Behutsam führe ich meine Leser langsam in meine Geschichte ein, stelle ihnen die Figuren vor, skizziere die zu erwartende Problematik und „male“ dann die diversen Handlungen in den verschiedenen Farben aus, um den Leser zu dem großen Verständnis am Schluss hinführen. Wenn es mir gelingt, meine Geschichte zu einer gelungenen Komposition zu gestalten, wird der Leser dieses Buch nach Genuss zur Seite legen mit dem Herzen, das reicher geworden ist an Emotionen, an Verständnis und an Erkenntnissen.


Die Phase des eigentlichen Schreibens dauert unterschiedlich lang. Zieht man die eventuellen Unterbrechungen durch „das Leben“ ab, dauert diese Phase ungefähr ein halbes Jahr.

Aber auch bei dieser Arbeit sind mir als Autorin keine Grenzen gesetzt, was die Freiheit und Unabhängigkeit meines Arbeitens betrifft. In dieser Zeit erwecke ich die Figuren zum Leben. Sie entwickeln Eigenheiten und Besonderheiten. Zum Beispiel habe ich Marie-Sophies Sohn Felix in dem Roman „Marie-Sophie – Endlich fliegen“ mit drei Katzen leben lassen, alle drei benannt nach bekannten alkoholischen Getränken. Für den Roman „Tagebuch ins Glück“ habe ich gar eine komplette Ranch entwickelt, die meiner Figur Tom gehört. Dazu habe ich natürlich gründlich recherchiert – eine Pferdefarm in Amerika ist grundlegend anders als eine Schaffarm auf den Äußeren Hebriden –, zusätzlich musste ich natürlich das ganze Umfeld entsprechend anpassen, Personal dazuerfinden, wie den Pferdepfleger Jeremy oder Toms Schwester Samantha, und selbstverständlich müssen auch die Tiere auf dieser Ranch Namen und Eigenleben haben, wie z. B. Jeremys Pferd „Little Joe“. Hier ein Auszug aus dem Roman „Tagebuch ins Glück“:


Vorsichtig klickte ich die Schnalle des Führstrickes an Lilly Blues Halfter, tätschelte ihren Kopf und führte sie aus der Box. Lilly Blue musste meine Nervosität spüren, aber sie blieb ganz ruhig, hielt Abstand zu mir und passte auf, mir nicht auf die Fersen zu treten. Vor der Sattelkammer band ich den Führstrick an einen Balken. Und dann kam Jeremy mit einem riesengroßen, stämmigen Hengst um die Ecke. Sein Fell glänzte rotbraun in der Sonne, und die schwarze Mähne wirbelte umher, als er seinen Kopf nach hinten warf und wieherte. Ein beeindruckendes Tier! Es tänzelte aufgeregt an Jeremys Seite, doch nahm Jeremy keinerlei Notiz davon. Mit einer überlegenen Dominanz beherrschte er dieses ungestüme Pferd.

„Das ist Little Joe.“

„Oh!“, entfuhr es mir. „Klar, warum nicht!“

Jeremy lachte. „Ja, der Name ist etwas ungewöhnlich für diesen Riesen. Er war ein kleines, mickriges Fohlen. Wir wussten zuerst nicht, ob er überhaupt überleben würde. Erst später begann er sich prächtig zu entwickeln. Aber da hatte er seinen Namen schon.“



Aus diesen Charakterentwicklungen, eingebaut in die selbstgestaltete Umgebung, die in der Plotphase natürlich noch nicht so detailliert existiert, entsteht dann manchmal auch die befürchtete Diskrepanz zwischen der Skizze aus der Plotphase und dem Handeln der ausgestalteten Figuren – nämlich dann, wenn sie ein Eigenleben entwickeln.

So geschehen bei der Figur Marie-Sophie aus „Marie-Sophie – Endlich fliegen“. Ich hatte mir für sie einen klaren Skizzenstart ausgedacht; ihr folgendes Handeln war für mich als klare Linie erkennbar. Als ich mit dem Ausformulieren der Skizzen begann, war für mich der Weg eindeutig: Marie-Sophie und ich hatten eine Art Vereinbarung, wie sich die Handlung abspielen sollte. Doch als ich Marie-Sophie einige Seiten lang begleitet habe, begann sie sich unter meinem Stift zu verändern. Sie folgte nicht mehr strikt den Vorgaben, wich hier und da von meinen Plänen ab und hatte plötzlich eine andere Vorstellung zu der Beziehung zu ihrem verstorbenen Ehemann. Sie wollte diese Aufarbeitungsphase anders bewerkstelligen, als wir das ursprünglich vereinbart hatten. Was sollte ich tun? Schließlich habe ich mich auf eine Diskussion mit ihr eingelassen. Wir sind uns in meinem Gedanken-Atelier gegenübergesessen und haben gemeinsam nach einer Lösung gesucht. In dieser Phase heißt es für mich, Vertrauen in die Romanfiguren zu haben und Kompromisse einzugehen. Denn die Erfahrung von inzwischen fünf Romanen hat mich gelehrt, dass die Geschichte nur dann rund wirkt, wenn man die Figuren mitbestimmen lässt! Als Autor sollte man sich unbedingt anhören, was sie zu sagen haben und welche Vorschläge sie einbringen. Ich musste dann die starre Linie aus der Plotphase aufweichen, Änderungen einbauen und die Übergänge zu anderen Kapiteln glätten – so, als würde der Maler eine Farbe übermalen, die nicht mehr ins Bild passt, sie mit weiteren Farben mischen, damit wieder harmonische Weichheit auf die Leinwand kommt.

Einmal befand ich mich tatsächlich in einer Situation, in der mir meine Romanfigur gegenübersaß und mir geschildert hat, wie einsam sie sich in ihrer Geschichte fühlt. Auch dann habe ich mich in mein Gedanken-Atelier zurückgezogen und mir überlegt, woran das liegen könnte. Isabell aus dem Roman „Lavendelduft und Madeleines“ hatte sich bis zur Erschöpfung aufgearbeitet und sich komplett vergessen. Um ihre Seele zu heilen, fährt sie für eine längere Zeit in die Provence nach Südfrankreich. Als ich die Geschichte von Isabell betrachtete, bemerkte ich: Es fehlten die Nebencharaktere, die unverzichtbaren Mitspieler im Leben – auch von Romanfiguren, denn niemand steht alleine im Leben.

Dabei kam mir ein wunderbarer Vergleich in den Sinn: Eine langstielige Lilie mit einer weißen Blüte in einer Vase. Ja, sie ist elegant, sie duftet und der Anblick ihrer kunstvoll geformten Blüte erfreut das Auge. Aber: allein ist sie langweilig, ihr fehlt der Hofstaat: grüne Farnblätter, Margeriten mit weißen Blütenknospen, vielleicht sogar eine kleine andersfarbige Rose. Sie alle machen das Arrangement perfekt, über dem die Lilie nun wie eine Königin thront. Und so war es bei meinem Roman „Lavendelduft und Madeleines“ – erst meine Nebenfiguren haben die Story ergänzt und Isabells Geschichte wirken lassen. Allerdings muss man als Autor auch bereit sein, sich auf diese Diskussionen einzulassen und die Geschichte umzuschreiben und zu ergänzen, was meist umfangreiche Mehrarbeit bedeutet.


Manchmal fragen mich Menschen, ob das Autorendasein nicht ein sehr einsamer Beruf ist. Natürlich gibt es einsame Phasen in diesem Beruf, doch bin ich trotzdem in der Schreibphase nie wirklich alleine. Und da ich immer in Bildern denke, sind auch meine Figuren in meinem Gedanken-Atelier real. Manchmal so real, dass ich mich selbst hin und wieder in eine meiner Figuren verlieben könnte und wenn ich im realen Leben nicht so glücklich verheiratet wäre, hätte ich manchmal echte Bedenken für die Auswirkungen auf mein wirkliches Leben. Das sind nun mal die Berufsrisiken, die ich als Autorin tragen muss ;-).

Das Schreiben ist für mich eine sehr anstrengende Zeit, einfach auch deshalb, weil in dieser Phase immer Änderungen dazukommen. Und wenn ich dann glaube, endlich die schwierigste Phase bei der Erstellung eines Romans hinter mir zu haben, kommt die Korrektur. Und die hat es in sich.


Dazu mehr im dritten Teil meines Blogartikels über die Arbeit im Gedanken-Atelier.









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